echo-online (28.09.2017)
Digitalisierung fordert Justiz heraus
Von Marc Wickel
FACHTAGUNG Juristen fragen, ob geltendes Recht den Anforderungen noch genügt / Zahlreiche Probleme bei Apps
DARMSTADT – Rund 150 Teilnehmer zählte am Mittwoch die Darmstädter Juristische Gesellschaft (DJG) bei ihrem 1. Juristentag im Hörsaal im Historischen Uhrturm der TU Darmstadt. Einen Darmstädter Juristentag ins Leben zu rufen, sei schon länger ein Wunsch des Vorstands gewesen, erklärte schilderte der DJG-Vorsitzende Dr. Ralf Köbler, hauptberuflich Präsident des Darmstädter Landgerichts, die Entscheidung, dieses Format zu den Abendvorträgen dazu zu nehmen.
Es ging um Digitalisierung. „Die Frage ist, ob das geltende Recht in der Lage ist, die Anforderungen der Digitalisierung zu bewältigen.“ Denn da ist Ralf Köbler skeptisch. Sogar neue Gesetze verfolgten falsche Ansätze, findet er mit Verweis auf die Regelungen für Soziale Netzwerke wie Facebook. Da habe das Bundesjustizministerium einen marktregulierenden Ansatz gewählt anstelle eines freiheitlichen – und das im Bereich der Informations- und Meinungsfreiheit, betonte Köbler.
Aktuell müssen Facebook & Co. „offenkundig strafbare Inhalte“ innerhalb von einem bis sieben Tagen nach einem Hinweis löschen. Dabei hielten acht von zehn Sachverständigen, die den Bundestag berieten, so ein Gesetz für verfassungswidrig.
Anstelle dessen wäre auch ein internetfähiges Verfahren möglich, erläuterte Köbler. „Wenn Facebook nach drei Tagen nicht reagiert, wird von einem Gericht eine einstweilige Verfügung erlassen.“
Jura-Professor Jochen Marly von Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der TU Darmstadt, blickte auf Smartphone-Apps. „Da gibt es Probleme in Hülle und Fülle“, sagte der Jurist, der die kostenlosen Apps „JLaw Gesetze & Urteile“ und die Lernapp „MarlyApp“ herausgibt.
Umsatz mit Apps wächst rasant. Der Name einer App falle schon ins Markenrecht, informierte er. Weltweit betrug der Umsatz mit Apps 2016 rund 51 Milliarden Dollar, für 2020 werden über 100 Milliarden Dollar jährlicher Umsatz vorhergesagt. Bei einem solchen Markt werde es Streit geben, ist sich der Professor sicher. Streit zwischen Käufern und Anbietern bei Preisen um die 99 Cent für eine App erwartet Marly nicht, aber es gebe schließlich auch die Verträge zwischen App-Herausgebern, Softwareentwicklern sowie Text-, Video- und Bilderlieferanten. Schon bei den Provisionen für App-Store-Betreiber zeigt sich für Jochen Marly, dass scheinbar andere Regelungen gelten als im sonstigen Provisionsgeschäft. „Der Plattformbetreiber bekommt 30 Prozent“, sagte der Jurist, in anderen Bereichen sei das sittenwidrig.
Plattformbetreiber wie Apple oder Google können zudem entscheiden, ob sie eine technisch einwandfreie App in ihrem Shop aufnehmen. „Sie haben keinen Anspruch“, verwies Marly auf die Verträge, „das schreit nach kartellrechtlicher Prüfung“. Denn bei iPhones gehe der Weg nur über Apples App-Store.
Kritisch blickte der TU-Professor auch auf die Verträge zwischen Apple und dem App-Herausgeber. „Das Vertragsverhältnis ist gezielt so verschachtelt, dass es unverständlich ist“, fand er. Zudem gebe es in den Verträgen eigentlich unwirksame Bestimmungen, weil sie die App-Herausgeber unangemessen benachteiligen, verwies Marly auf den Paragrafen 307 im Bürgerlichen Gesetzbuch.